In Putins Schatten
45. Sudetendeutsche Mundarttagung am Heiligenhof in Bad Kissingen, 04. – 06. März 2022.
Das Treffen der sudetendeutschen Mundartsprecher ist immer eine Begegnung, die an die „guten, alten Zeiten“ erinnert. Auch im Jahre 2022, wo der „Freundeskreis Sudetendeutsche Mundarten“ sogar viel mehr Teilnehmer als 2021 anlockte, war das so. Nach der Vorfreude, dass Corona langsam die Posten räumt, kam eine eiskalte Nachricht aus Russland: Putin ordnete den Einmarsch seiner Truppen in die Ukraine an. Und im Schatten des Russischen Bären verlief das ganze Wochenende.
Die Begrüßung zum Auftakt der Begegnung erfolgte durch Dr. Christina Meinusch, der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Herr Schmidt vom Heiligenhof begrüßte ebenfalls die Gäste und teilte die Corona-Regeln mit. Ingrid Deistler, Vorsitzende des Freundeskreises, las als Begrüßung ein Gedicht von der Erika Neumann vor. Es folgte das Totengedenken, bei welchem auch der aktuellen russischen und ukrainischen Toten gedacht wurde. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde folgte die Kontrolle der Hausaufgaben. Das Thema war diesmal das Essen. Wie man aus den Beiträgen entnehmen konnte, war dieses Thema sehr erfolgreich. So viele schmackhafte Sachen aus dem ganzen Sudetenland, die man an diesem Freitagabend ausprobieren konnte! Frau Ilse Eckel aus der Rhön erzählte: „Ich habe immer gerne die Vertriebenen besucht, die auf unserem Bauernhof lebten: die hatten nämlich eine ausgezeichnete Kartoffelsuppe, die ich nicht von zuhause kannte. Und zwar jeden Tag!“ Gemeinsam mit Monika Hanika wurde in einer Darstellung gezeigt, wie unterschiedlich die Essensgewohnheiten einer Bauerntochter in Burghausen und die einer Vertriebenentochter waren.
Brünn meldet sich zu Wort
Den ersten wissenschaftlichen Vortrag Samstagfrüh brachte Dr. Mojmír Muzikant aus Brünn: „Zusammenfassung des im Jahre 1995 begonnenen ´Atlas der deutschen Mundarten in Tschechien.“ Muzikant berichtete über die Schwierigkeiten, mit welchen dieses Projekt verbunden war und wie man mit der Zeit kämpfen musste, weil die Mundartsprecher älter geworden sind und es drohte deren Aussterben. Ganz zu schweigen von der Finanzierung! Zwanzig Jahre dauerten die Erhebungen, die meistens bei den „verbliebenen“ Deutschen gemacht worden sind. Eine der Ausnahmen war z.B. die Brünner Sprachinsel, weil dort keine Mundartsprecher mehr lebten. Auch in Pilsen fand man keine Mundartsprecher mehr.
Der zweite Vortrag behandelte das Thema „Pflanzen und Tiere“, welches im Band VI des Sprachen-Atlasses behandelt wird. Dr. Richard Rothenhagen fing mit dem Wort „Kukurutz an,“ was die Mundartbezeichnung für den Mais ist. „Hier ist der Einfluss Österreichs zu spüren,“ so Rothenhagen. Der Allgemeinbegriff für diese Worte ist „Austriazismen.“ Hochinteressante Information kam bei dem Vortrag über den tschechischen Begriff „Brambory“ für Kartoffeln: die kamen nämlich nach Böhmen aus dem deutschen Brandenburg und der Name wurde einfach fonetisch übernommen.
Mag. Marek Halo von der Universität Brünn faste auch die Entstehung des VII. Teiles des Sprachatlasses zusammen. Die Zahl der Worte musste beschränkt werden, weil man unter Zeitdruck war und die Herstellungskosten erhöhten sich auch. Man muss sich vorstellen, dass man eine ganze Woche brauchte, um ein einziges Wort zu verarbeiten. Was das Essen angeht, hat man im Atlas 103 Begriffe verarbeitet. Beim Wort Brei konnte man sehr stark den tschechischen Einfluss spüren. Das Wort Powidl ist aber im ganzen Land auch als Austriazismus verbreitet.
Unterfranken zu Gast
Frau Dr. Monika Fritz-Scheuplein von der Universität Würzburg brachte das Thema „Essen in den Unterfränkischen Dialekten“ ONLINE nach Bad Kissingen. In den Jahren 2005-2009 entstanden sechs Bände dieses Sprachenatlasses, welcher für ganz Bayern herausgegeben wurde. Wie Fritz-Scheuplein berichtete: „Auch heute kann man im täglichen Leben in den unterfränkischen Wirtshäusern der Mundart begegnen und z.B. mit der Speisekarte ´kämpfen´, die in Mundart geschrieben ist.“ Des Weiteren wurden die einzelnen Sprachkarten um das Thema Speisen gezeigt. Für das Wort Quark findet man z.B. in der unterfränkischen Mundart kein ähnlich klingendes Wort. Der Begriff „Kumst“ im südlichen Unterfranken für Sauerkraut kommt von dem lateinischen Wort Compositum. Im Nachmittagsprogramm startete Lorenz Loserth mit seinem Vortrag zum Seminarthema. Er hat sich als Aufgabe gesetzt, die Teilnehmer mit der Art bekannt zu machen, wie man zu Informationen kommt. Einige Köstlichkeiten hat Loserth aber trotzdem präsentiert: „Hobbstinax“ und „Hallifax“ waren z.B. in seiner Familie sehr beliebt. Sehr hilfreich sind bei der Suche nach Informationen die digitalen Bibliotheken in Tschechien. Auch Roman Klinger aus Nixdorf bearbeitete in seinem Vortrag das Essen. Klinger präsentierte auch einige Begriffe in der Mundart ums Essen herum aus seinem Geburtsdorf. Zuletzt brachte er ein Rezept für eingelegte Fische.
Albert Brosch
Frau Gislinde Schuster, die Großnichte vom Albert Brosch, trug in dem letzten Vortrag vor der Kaffeepause über diesen Volksliedsammler vor. Familie Brosch stammte aus Oberplan im Böhmerwald und wohnte neben dem Haus vom Adalbert Stifter. Sein Vater Wenzel Brosch war Uhrmacher. Albert Brosch übernahm das Uhrengeschäft von seinem Vater, neben dem Uhrgeschäft interessierte sich Albert Brosch auch fürs Fotografieren. Albert Brosch hatte sieben Geschwister. 1904 startete Brosch mit dem Sammeln der Volkslieder. Er lernte auch Zither spielen. Nach seiner Kriegsverletzung landete Brosch in Eger. Dort lebte er bis zur Vertreibung 1945. 1930-1934 sammelte er Lieder im Egerland. In den Kriegszeiten um 1944-1945 besuchter er die Kriegslager und sammelte das Liedgut von den gefangenen Deutschen, die aus ganz Osteuropa kamen. Das war ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Gefangenen wurden ja bald nach der Ankunft wieder auf die Todesmärsche geschickt. Wie sehr Brosch die Egerländer mochte, beweist ein Zitat: „Von den verschiedenen deutschen Stämmen des Sudetenlandes sind es wohl die Egerländer, die am treuesten an ihrem alten Volkstum, an Brauch und Sitte, an Mundart und Volkslied festhalten. Ja, man kann ruhig behaupten, dass die Egerländer zu den sangesfreudigsten und liederreichsten deutschen Volksstämmen überhaupt gehören“. Albert Brosch sammelte 12711 Volkslieder und die gleiche Menge an Märchen u.v.m.
Workshop nicht nur mit dem Rotkäppchen
Lorenz Lorenth startete mit der Vorstellung der verschiedensten Quellen, wo man nach Inspiration suchen kann Z.B. auf www.childrenslibrary.org sind Kinderbücher zu finden, manchmal sind sie schon ohne Autorenrechte, was ab 70 Jahren nach dem Tod des Autors gilt. Die Übertragung der Kinderbücher in die Mundart ist ganz wichtig. Nach der Erklärung, worauf man bei der Bearbeitung der gestellten Aufgabe aufpassen muss, ging es los… Es folgte die Aufgabe: das Märchen „Rotkäppchen“ in die jeweilige Mundart umzuschreiben. Etta Engelmann kam mit einer anderen Aufgabe auf die Teilnehmer zu: zuerst wurden Begriffe um das Thema „Essen“ in die jeweiligen Mundarten übersetzt und dann wurde ein Zwiegespräch zwischen Etta Engelmann und Ingrid Deistler vorgeführt.
Drei Würdigungen
Nach dem fleißigen Ausarbeiten der Aufgaben beim Workshop erlebten die Teilnehmer eine große Überraschung: „Das Abendessen findet nicht im Speisesaal, sondern im hinteren Seminarraum statt,“ teilte die Heimatpflegerin Meinusch ganz geheimnisvoll mit. Als alle den Raum betraten, haben die meisten ihren Mund weit aufgemacht „No, sua woos schäins, dös is wöi im Grandhotel Pupp,“ waren die Worte eines Egerländers. Wunderschön verzierte Tische, großes Büffet und dann die Überraschung: Drei Würdigungen mit der Adalbert Stifter-Medaille der Sudetendeutschen Landsmannschaft für die Schöpfer des „Atlasses der deutschen Mundarten in Tschechien“: Dr. Mojmír Muzikant, Dr. Richard Rothenhagen und Mag. Marek Halo, alle von der Universität Brünn. Die Laudatio an alle drei hielt die frühere Heimatpflegerin der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Dr. Zuzana Finger. Überreicht wurden die Medaillen durch den Hauptkulturreferenten der Sudetendeutschen Landsmannschaft Prof. Dr. Ulf Broßmann. Ausgezeichnete Speisen krönten die Feststunde.
Am Samstagabend musste aber noch gearbeitet werden: es folgte noch ein Workshop mit Edwin Bude: Tipps und Tricks für die Aufnahmen: die technische Ausrüstung wurde beschrieben, Ratschläge für Gespräche und für Interviews wurden für Jedermann gezeigt. Mit diesen Ratschlägen tut man sich künftig in der Vereinsarbeit leichter.
Sonntagsarbeit
Sonntagfrüh startete Ingrid mit dem Organisatorischen und dann ging das Programm schon los. Erwin Bude fuhr fort mit dem Thema „Praxis der Mundartaufzeichnungen“. Die Freiwilligen bildeten ein „Aufnahmeteam“ und die Probeaufnahmen wurden gestartet. Der erste Befragte war Leo Schön aus dem Braunauer Ländchen. Das Aufnahmeteam bildeten Franz Hanika an der Kamera und Margaretha Michel war die Reporterin. Etta Engelmann stellte dann den ersten Vorschlag zur Hausaufgabe vor: ein Zwiegespräch zusammenzustellen: entweder über eine Speisevorbereitung, oder übers Lieblingsmenu, was man gerne isst. Als eine Kostprobe präsentierten Monika Hanika und Ilse Eckel ihre Menüvorbereitung. Gestritten wurde über den Begriff „Powidl,“ weil die beiden Köchinnen einen anderen Begriff für Pflaumenmus kannten. Einen Sketch über die Vorbereitung der „Berliner“ brachte das berühmte Künstler-Duo Lotti und Emmi aus dem Altvatergebirge. Weiters folgten die Präsentationen aus dem Workshop mit dem Märchen „Rotkäppchen“. Als erste präsentierte Rosina Reim das Märchen in der Wischauer Mundart. Es folgte das Kuhländchen mit Fritz Höpp, die Gablonzer Gegend mit Ingrid Zasche, das Egerländrische mit dem Måla Richard und Roman Klinger aus dem Schluckenauer Zipfel. Das Altvatergebirge mit Helga Olbrich, Gustav Reinert aus Grottau im Lausitzer Gebirge, Ilse Eckel und Rudi Klieber aus Mokrau im Egerland kamen zum Schluss.
Richard Šulko