"Bund der Deutschen in Böhmen, e.V.", Sitz: Netschetin / Nečtiny in Tschechien ist ein Verein der deutschen Minderheit in Westböhmen.

Vereinszweck:

  • Erhalt der deutschen Sprache und des „Egerländer Kulturerbes“
  • Schutz der Interessen der deutschen Minderheit
  • Völkerverständigung, insbesonders zwischen GER und CZE

„Bylo to fajne“ (Es war schön)

(Bildungsseminar im Stift Tepl 29. 9. – 1. 10. 2023)

Dank der finanziellen Unterstützung vom deutschen „Bundesministerium des Innern und für Heimat“ konnte der „Bund der Deutschen in Böhmen“ aus Plachtin bei Netschetin am letzten Wochenende im September wieder ein Bildungsseminar organisieren. Wie bei diesem Projekt üblich, wurden Mitglieder und Freunde aus zwei Vereinen der deutschen Minderheit eingeladen: von dem Veranstalter und vom „Verein der Deutschen in Böhmen- Region Pilsen.“ Bei den Egerländern aus Netschetin sind immer drei Generationen dabei und damit bekommen auch die Jüngsten eine wichtige Ausbildung in Sachen Deutschtum und Egerländer Kulturgut. Richard Šulko berichtet:

Nach der Anreise und Bezug der Zimmer am frühen Freitagnachmittag versammelten sich alle Anwesenden im Seminarraum und nach der Begrüßung durch Richard Šulko stellte er das Programm vor. Den ersten Vortrag hielt P. doc. Michal Kaplánek, SDB, Th.D.: „Was trägt der gemeinsame Glaube zur deutsch-tschechischen Verständigung bei? Teil I. “ In seinen Ausführungen präsentierte er zuerst seinen Lebensweg in Sache Deutsch-tschechische Begegnungen: im Jahre 1989 wurde er zum Priester geweiht, 1990 initiierte er das Zentrum der Salesianer Jugend in Pilsen. Nach 1991 machte er erste Erfahrungen mit den Salesianern in Deutschland: in Regensburg mit P. Konrad Schweiger, SDB und mit dem “Bund der Deutschen Katholischen Jugend“ (BDKJ) in der Diözese Regensburg. Im österreichischen Linz bekam er den Doktortitel und half bei den dortigen Salesianern. Seine weiteren Studienaufenthalte waren im bayerischen Benediktbeuern und Erfurt in Thüringen. Was er auf seinem Lebensweg in Deutschland und Österreich lernte, war: „Vorurteile werden nur durch positive Erfahrungen abgebaut“ und: „Erst die Entdeckung der Gemeinsamkeiten im Glauben bringt die Menschen zu einer Bemühung den anderen zu verstehen.“


Enkulturation…

Enkulturation ist ein lebenslanger Prozess, durch den ein Mensch in die Kultur, in der er lebt, hineinwächst, das heißt, er versteht und akzeptiert Muster, Gedanken, Ausdrücke und Handlungen – sie werden zu seinen eigenen. Enkulturation findet in jedem Menschen statt. Solange Nationen und ethnische Gruppen mehr oder weniger getrennt leben, denkt niemand darüber nach. Alles ist übersichtlich geordnet. Sobald ich einer anderen Kultur aus nächster Nähe begegne, in einer Diaspora (Minderheit) lebe oder für längere Zeit ins Ausland ziehe, sind die meisten Verhaltensmuster für mich nicht mehr selbstverständlich – und ich muss mich damit auseinandersetzen. Das ist die Beschreibung der Lage, mit welcher sich auch die „verbliebenen“ Deutschen auseinandersetzen müssen. 

Christliche Traditionen als Unterstützung der Identität…

Kaplánek gab auch einige Beispiele, wie der christliche Glaube bei der eigenen Identität helfen könnte: Geborgenheit im Vertrautem, familiäres Umfeld, Freundschaft, Vertrauen, die Möglichkeit, den eigenen Glauben weiterzuentwickeln – den Weg fortzusetzen, den ich bisher gegangen bin und klare Wegweisungen für die Zukunft zu bekommen. Es gibt aber auch Nachteile: Tendenz zur Absonderung (Christliche Gemeinde als familiäre/nationale Nische), Konservatismus und Untergangsgedanken, Zurückhaltung gegenüber aktuellen Themen. Nach einer kurzen Diskussion, in der wir unseren Glauben in der tschechischen Mehrheitsgesellschaft bewerteten stand das Abendessen auf dem Programm. Am nächsten Tag fuhr Kaplánek mit diesem sehr umfangreichen Thema fort. Die kulturelle Verwandtschaft erklärte er mit den gemeinsamen Traditionen: Zugehörigkeit zum westlichen Christentum (Katholische Kirche, Evangelische Kirche), 800 Jahre Zusammenleben von Tschechen und Deutschen auf dem Gebiet der Böhmischen Krone (es gab immer einige Konflikte, die sich aber erst im 19. Jahrhundert zu verschärfen begannen), tschechische und jüdische Wissenschaftler und Künstler griffen auf den Reichtum der deutschsprachigen Literatur zurück und trugen selbst in nicht geringem Maße dazu bei. Daher gab es zumindest in der gesamten Habsburgermonarchie und in Bayern (geprägt durch Kultur und Mehrheitszugehörigkeit zur katholischen Kirche) gemeinsame Verhaltensmuster (Etikette). Obwohl diese Traditionen unterbrochen wurden, funktionieren sie in vielerlei Hinsicht immer noch.


Ein Weltunikat…

Der zweite Vortrag am Samstagvormittag wurde dem Thema „Egerländer Kachelofen von Willy Russ“ gewidmet. Den Vortrag hielte Frau Dr. Iva Votroubková vom Egerer Museum. Zuerst stelle sie den Künstler selber vor: Willibald Russ wurde am 7. Juli 1888 in Schönfeld geboren. Nach dem Besuch der Fachschule für Keramik in Teplitz-Schönau studierte Russ Bildhauerei an der Wiener Kunstgewerbeschule. Ab 1906 arbeitete er für die Wiener Werkstätte und ab 1910 als freischaffender Künstler in Wien. In Wien fand er auch seine Frau Anna Ruppert, mit welcher er nach Schönfeld zurückkehrte und eröffnete dort seine eigene keramische Werkstatt. Russ schuf Gebrauchskeramik und Figuren im Stil des Art déco, Kruzifixus- und Mariendarstellungen, aber auch Entwürfe für Denkmäler, etwa das Goethe-Denkmal von Marienbad. Das Egerer Museum bestellte bei Russ einen Kachelofen für eine volkskundliche Ausstellung im Jahre 1938. Der Ofen mit seinen farbig glasierten Keramikkacheln ist 3m lang, 1,5m tief und 3m hoch. Der Besucher findet in ihm 76 Stadt- und Gemeindewappen des Egerlandes, besonders beeindruckend sind die Reliefdarstellungen von Volksbräuchen, darunter die Hutzenstube, das Winteraustragen, das Osterreiten, der Maibaumtanz, der Erntewagen und die Kirchweih. Aus dem Lebenslauf der Menschen findet man einen Kammerwagen, den Hochzeitssegen der Eltern und eine Kindstaufe. In der Egerländer Mundart sind dort 63 Volkssprüche und Redensarten aufgeführt, darunter auch Weisheiten, die bis heute noch gültig sind.


Wenn eine Kuh gemolken wird…

Nach dem Mittagessen machten sich die Seminarteilnehmer auf den Weg: der erste Halt wurde in Miltigau bei Eger gemacht, wo das Egerer Museum den Egerländer Bauernhof Nr. 18 komplett renovierte und dort eine Dauerausstellung mit dem Thema „Das Leben auf einem Egerländer Bauernhof“ einrichtete. Liebevoll führte uns persönlich die Frau Votroubková durch das Gebäude und erklärte, wie das Leben früher auf so einem Bauernhof war. Die wohl interessanteste Installation war für die jüngste Teilnehmerin Karolina Šulková eine künstliche Kuh in dem Stall, welche man auch melken konnte. Das taten dann mehrere Kinder, denn beim richtigen Griff kam tatsächlich Wasser aus dem Euter heraus. Der nächste Weg führte dann ins Egerer Museum, wo Votroubková persönlich den Russ-Kachelofen vorstellte. Wenn man nahe an diesem Kunstwerk steht und die Details anschaut, muss man gestehen, dass dieser einmalige Ofen nicht nur mit sehr viel Geschicklichkeit hergestellt wurde, sondern auch mit viel Heimatliebe. Für uns, die heimatverbliebenen Egerländer ist das ein unersetzlicher Beweis und eine Darstellung unseres Egerlandtums. Voll von Eindrücken ging der Weg dann wieder ins Kloster, wo uns nach dem Abendessen der gesellschaftliche Teil erwartete: Unterhaltung mit Theodor Bayer, der uns zwei Stunden mit seinem Akkordeon und Gesang unterhielt. Am Sonntag wurde noch nach dem Frühstück eine kurze Zusammenfassung gemacht und nach dem Besuch des Gottesdienstes und dem Mittagessen wurde das Seminar als beendet erklärt. Beim Abschiednehmen sagte der Josef Žídek aus Köberwitz bei Troppau: „Bylo to fajne“ (Es war schön). Wohl die schönste Auszeichnung für die Organisatoren, die sich schon auf das nächste Seminar in 2024 freuen.