"Bund der Deutschen in Böhmen, e.V.", Sitz: Netschetin / Nečtiny in Tschechien ist ein Verein der deutschen Minderheit in Westböhmen.

Vereinszweck:

  • Erhalt der deutschen Sprache und des „Egerländer Kulturerbes“
  • Schutz der Interessen der deutschen Minderheit
  • Völkerverständigung, insbesonders zwischen GER und CZE

Etwas Besonderes

(Seminar Sudetendeutsche Mundarten 1.- 3. März 2024 in Bad Kissingen)

Måla Richard Šulko

Am ersten Märzwochenende trafen sich, dank der Unterstützung des Bundesverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaf,t wieder Freunde der Mundarten, die in den ehemals deutschen Siedlungsgebieten in Böhmen, Mähren und Schlesien ihre Wurzeln haben, oder von dort heute noch kommen. Die Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Christina Meinusch, bereitete mit der Vorsitzenden des Freundeskreises der Sudetendeutschen Mundarten, Ingrid Deistler, wieder ein sehr reichhaltiges Programm vor. Das Leitmotiv war diesmal „Feste und Bräuche im Jahreslauf.“

Von Freitag bis Sonntag genossen über 40 Teilnehmer nicht nur die Gastfreundschaft des Heiligenhofes, sondern vor allem auch die hochinteressanten Vorträge und Workshops. Die Begrüßung nach dem Nachmittagskaffee übernahm zuerst Nino Schmitt, Assistent des Stiftungsdirektors. Es folgte Christina Meinusch und Ingrid Deistler, die mit einem Gedicht die Anwesenden begrüßte und die in einer Gedenkminute an verstorbene Mitglieder des Freundeskreises dachte. Bevor der erste Vortrag kam, stimmte Deistler mit dem Lied „In Märzen da kommt man am Heiligenhof zamm“ aufs Programm ein. Martin Dzingel, Präsident der „Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik“, kam mit dem Vortrag „Bewahrung Sudetendeutscher Mundarten durch den Landesverein der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik“ aus Prag nach Bad Kissingen. Am Anfang stellte Dzingel die Organisation der deutschen Verbände in Tschechien vor. Des Weiteren erklärte er, wie die deutsche Sprache in Tschechien gesetzlich geschützt wird und wie es mit der Ausbildung in Deutsch aussieht. Kurz erwähnte Dzingel auch das Thema der Bedeutung der Muttersprache für die Identität. Dzingel präsentierte auch weitere Projekte in ganz Tschechien, die die Sprache unterstützten: Debattierclubs, Mundartvideos, Bücher u. v. m. Dzingel zeigte dann Filme mit Mundartaufnahmen, die die Landesversammlung aufgenommen hatte und die man im YouTube Kanal sehen kann. Auch ein zweisprachiges Märchenbuch in Mundart stellte Dzingel vor, welches die Landesversammlung herausgab. Dazu gibt es auch eine CD mit Mundartaufnahmen. Nach dem Vortrag folgte das Abendessen, um gestärkt ins Abendprogramm einzusteigen: Mundartlesungen und Mundartvorträge zum Seminarthema. Vor den einzelnen Geschichten folgte eine Vorstellungsrunde, weil viele neue Gesichter dabei waren.

 

Langer Vortragssamstag…

Samstag früh startete der „lange Samstag“ mit dem Vortrag von Dr. Mojmír Muzikant aus Brünn: „Enklitika (abgeschwächte Pronominalformen) in den deutschen Dialekten Mährens und Schlesiens.“ Bei den Erhebungen für den „Atlas der deutschen Mundarten in Tschechien“, war es ziemlich schwierig, Mundartsprecher zu finden. Wenn man die Karte im Mundartatlas z. B. nur im Raum Schönhengst anschaut, kann man die verschiedensten Endungen bei den Personalpronomen finden. Aus dem wissenschaftlichen Teil ging es im zweiten Vortrag zu einem volkskundlichen Vortrag über: „Osterbräuche in Mähren und Schlesien“ von Dr. Richard Rothenhagen. In seinem Vortrag erwähnte er, dass in Tschechien der Ostermontag der wichtigste Tag der Osternzeit ist. Rothenhagen bearbeitete die ehemaligen deutschen Sprachinseln Schönhengst, Iglau, Brünn, Wachtl (Brodek), Olmütz, weiter Regionen Bautsch (Budišov nad Budišovkou), Bradelstein (Bradlo) und Sudetenschlesien. In Langenlutsch (Dlouhá Loučka) gingen die Kinder am Karfreitag mit einer Schnarre durch den Ort, welche die Glocken ersetzte. Denselben Brauch machen wir im Egerland auch heute noch am Karfreitag. Das Umhergehen mit einer Osterrute am Ostermontag war fast überall zu sehen, was der Einfluss des tschechischen Brauchtums war. Ein fast vergessener Brauch ist das Osterreiten, bei dem man mit geweihten Palmzweigen und einem Kreuz um die Felder ritt, um sie zu segnen damit die Ernte gut wird. In der Brünner Sprachinsel, in Schöllschitz (Želešice) hingen an den Osterruten keine bunten Bänder, sondern „Pajätzen“ (Figuren aus Wolle). Der Begriff „Schmeckostern“ kommt aus dem tschechischen „šmikat“ (schnell schneiden oder sägen). Ganz unterschiedlich waren die Sprüche: in Dohle (Dalov) bei Sternberg sangen die Kinder: „Ich stieh uff an Stään, miech fresst oo de Bään, gatt mr a Stickl Striezl und ann Klecks Honig drauf, dann gieh ich wieder hääm… (Ich stehe auf einem Stein, mich friert an die Beine, gebt mir ein Stückl Striezel und einen Klecks Honig drauf, dann geh ich wieder heim..“ Der einzige Ort  in diesem Bereich, wo die Kinder Geschenke suchen mussten, war der Ort Sedlnitz (Sedlnice).

 

Fleißige Schüler zu Hause…

Nach der Pause kamen die Hausaufgaben zu Wort. Bis zum Mittagessen hörten die Anwesenden einige Beispiele der Osterbräuche, die die Teilnehmer aus den verschiedensten Mundartregionen vorbereitet hatten. Nach dem Mittagessen folgte zuerst die Vorstellung eines Best Practice: Projekt „Paurisch“ vom Begegnungszentrum Trautenau. Die Präsentation hielte die Leiterin des dortigen Begegnungszentrums Štěpánka Šichová, mit der Unterstützung von Margit Bartošová und Frau Renata Smutná. In Schatzlar (Žacléř) kann man heute noch alten Leute begegnen, die miteinander auf der Straße Paurisch reden. Wissenschaftlich bearbeitete das Thema der Mundart in dieser Gegend, einst der aus Düsseldorf stammende und am 25. 2. 1852 geborene Georg Wenker. Mit den sog. Wenkersätzen wurde die Mundart in der Region aufgezeichnet. Ein solcher Satz war z. B. „Der gute alte Mann ist mit dem Pferde durch´s Eis gebrochen und in das kalte Wasser gefallen“. Ein ganz wichtiger Teil des Projektes sind die Audioaufnahmen. Das ganze Projekt kann man komplett mit allen Aufnahmen, auf der Homepage des Begegnungszentrum Trautenau  finden. Šichová erwähnte speziell Frau Ursula Ludwig, mit welcher sie sehr viel in Projekten zusammenarbeitete. Den nächsten Vortrag im Rahmen des Best Practice hielt Lorenz Loserth: „Sudetendeutsches Mundartmemory“. Nach der Auswertung der einzelnen Begriffe, wählte Loserth zu diesen Begriffen passende Bilder aus, die Rückseite wurde entworfen und die einzelnen Karten wurden gedruckt. Noch vor der Pause haben die Seminarteilnehmer das Spiel ausprobiert.

 

Nachmittagsworkshop…

Etta Engelmann hatte für die Seminarteilnehmer einen Workshop mit dem Thema „Verlust einer Handschrift“ vorbereitet. Zuerst erklärte sie, dass man sich nach der Kaffeepause leider in einer Nachmittagsdepression befindet, die durch „Neurogene Deprivation“ ausgelöst wird und die hoffentlich den Workshop nicht zu sehr beeinträchtigt. Heute schreibt man selten mit einer Füllfeder, sondern eher mit  einem Kugelschreiber. Warum verschwindet die „Kunst des Schreibens“ immer mehr? Es gibt mehrere Gründe: Smartphones, Schreibmaschine, Computer, Telefon, SMS, E-Mails, Kugelschreiber, und: Abkürzungen, von welchen es nach dem Duden 96 Arten gibt! Für jede Art Schriftverkehr kann man das „Hamburger Verständlichkeitskonzept“ benutzten. Wenn man seine Handschrift verwendet, bringt das mehrere Vorteile: es ist persönlicher, man trainiert die Finger und man fällt auch auf. Wie baut man einen Brief richtig auf? Zuerst soll man das richtige Briefpapier wählen und einen Füller, Tinte kann man mit einem Tintenkiller nämlich gut wegbekommen. Die Anrede am Briefanfang ist ganz wichtig! Ort, Datum nicht vergessen anzugeben und zwar Alphanumerisch! Beispiel: „Lieber Herr Dr. Maier.“ Die Anrede „Hallo“ soll man vermeiden, sowie eine elektronische Briefmarke. Jeder Absatz muss sein eigenes Thema beinhalten. Den Brief sollte man mit Abstand noch mal durchlesen. Bei privaten Briefen Umschläge ohne Fenster benutzten, Absender links oben und ohne Titel schreiben. Nun wurde es praktisch: Engelmann hatte einen Musterbrief vorbereitet, welchen man verbessern musste. Auch die Formulierungen wurden trainiert. Nach diesem theoretischen Teil teilte Engelmann Briefpapiere aus, dazu die Umschläge, auch Briefmarken wurde dafür vorbereitet und es ging los: jeder suchte sich eine Person aus, die sich über unseren mit der Hand geschriebenen Brief freuen würde und schrieb ihr einen persönlichen Brief. Es war schon ein ganz außergewöhnliches Gefühl, mit eigener Hand so etwas zu schreiben.

 

Im Märzenwald…

Der "Pflichtspaziergang“ am Samstag früh stand unter dem Titel „Willkommen im Märzenwald.“ Ingrid und Gerald Deistler bereiteten mehrere Stationen vor, mit Informationen und Aufgaben für die Mundartfreunde. Nach dem „Pflichtfoto“ an der Treppe hinter dem Haus ging es los. Die Ingrid, ausgestattet mit einer „Osterglocke“ begleitete die Wanderer mit ihrem Fachwissen und kommentierte die einzelnen Stationen. In ihnen wurden die einzelnen Bräuche erklärt und Fragen gestellt. Auch für mich war der Brauch mit dem „Summadockn-Aastrogn“ neu. Sehr gut gelungen war das Palmbüschel für den Palmsonntag, das aus Palmzweigen und Tannenreisig zusammengebunden war. Die größte Freude bereitete die Ratsche an einer Station, auf welcher der Stefan Busch aus dem Riesengebirge gleich sein Sprüchel aus der Heimat vortrug. Das Schönste an solchen Spaziergängen ist, dass man Zeit hat, sich miteinander zu unterhalten, sogar in Mundart. Ich z. B. konnte im Gespräch mit dem Edwin Bude etwas über sein neues Buch erfahren: „Sagen, Märchen & Mythen aus den Sudetenländern und den ehemaligen deutschen Ostgebieten.“ Am Ende des Spaziergangs, an der Kapelle, war eine praktische Übung vorbereitet: Jeder konnte seine Wünsche, oder Bitten auf die Ostereier aus gelbem Papier aufschreiben. Nach dem österlichen gesungenen „Halleluja“ ging es wieder zurück zum Heiligenhof. Dort angekommen erklärte Christina Meinusch die Probleme mit der Finanzierung der Begegnung am Jahresanfang. Gegen den Vorschlag, die Begegnung in die zweite Jahreshälfte zu verlegen, gab es keine Einwände und deswegen wird es ab 2025 so gehandhabt. Noch vor dem Mittagessen wurde das Seminar bewertet: das nächste Mal wird die Sitzordnung geändert und Namensschilder vorbereitet. Auch die Einblendung der Texte zum Mitsingen wäre wünschenswert. Ansonsten waren alle Teilnehmer sehr zufrieden und freuen sich auf die Begegnung im nächsten Jahr. Als Vortragsthemen für die nächste Begegnung schlug Dr. Richard Rothenhagen den Bereich „Gartengeräte, Feld- und Gartenarbeit“ vor. Als Hausaufgabe schlug Lorenz Losert Aufbereitung eines Heimatliedes vor. Eine schöne Idee war auch, einen komplizierten Begriff in der Mundart zu erraten und zu erklären. Nach dem guten Mittagessen ging es für alle wieder nach Hause. Es war ein sehr schönes und lehrreiches Wochenende, voll mit dem Erhalt unserer Muttersprache erfüllt, denn unsere Mundart ist ein ganz wichtiger Teil unserer Identität.