Vergessener Arzt und Denkmal mit bewegter Geschichte
(Bildungsseminar 27.- 29. September 2024 im Stift Tepl)
Richard Šulko
Die Bildungsseminare gehören zu den wichtigen Projekten der deutschen Minderheit in Tschechien. Der „Bund der Deutschen in Böhmen, e. V.“ konnte dank des „Bundesministeriums des Innern und für Heimat“ auch für den Verein der Deutschen in Pilsen wieder ein Bildungsseminar organisieren, diesmal im Stift Tepl bei Marienbad. Von Freitag bis Sonntagmittag mit einem reichhaltigen Programm, auch mit einer Busreise nach Karlsbad verbunden.
“Von der Ignoranz zur Verständigung und Freundschaft“ („Bearbeitung der Sudetendeutschen Geschichte in Böhmisch Leipa“) hieß der Vortrag am Freitagnachmittag von Tomáš Cidlina, seit 2010 Historiker des Museums in Böhmisch Leipa und Träger der Adalbert-Stifter-Medaille der „Sudetendeutschen Landsmannschaft.“ Zuerst stellte Cidlina Böhmisch Leipa und die Umgebung vor. Er erwähnte auch die dortige Industrie um 1940: Textil, Klavier Rösler oder Glasherstellung. Nach 1945 kamen Tausende Gastarbeiter nach Böhmisch Leipa. Cidlina erwähnte in seinem Vortrag auch die wilde und organisierte Vertreibung der Deutschen. Antifaschisten, die verblieben sind, gingen dann nach 1946 meistens freiwillig nach Deutschland. Wirtschaftlich hat es aber gut mit der Ansiedlung der neuen Bewohner funktioniert. In den 1960er und 70er Jahren stieß man auf Uran: das war der Aufschwung: es kamen zehntausende neue Bewohner. Ende der 80er hatte Böhmisch Leipa schon 40 Tsd. Bewohner. Mit der Kultur hat es aber nicht so gut funktioniert, wie mit der Industrie: vor allem war kein Interesse an der deutschen Vergangenheit da. Im Museum Böhmisch Leipa wurde dieses Thema schon bearbeitet: Bücher, Denkmäler, Möbelstücke der Deutschen wurden ins Museum gebracht. Mit den Vertriebenen gab es aber keine Zusammenarbeit. In den 90er Jahren wurde im Museum weitergearbeitet. Die Besuche der Vertriebenen wurden nicht erwünscht und mit Angst begleitet. Der Vorgänger Cidlinas hielt an der alten Ansicht fest und forschte vor allem an tschechischen Spuren in Böhmisch Leipa. Die Anfänge der Bearbeitung der deutschen Vergangenheit bildete zuerst die Herausgabe des Buches „Polzenblumen“ (Ploučnické květy). Cidlina hatte damals keinen Zugang zum Archiv und musste mit der mündlichen Geschichte selber anfangen. Sehr viel half ihm dabei Franz Josef Lipenski, ein verbliebener deutscher Antifaschist.
Die ersten Begegnungen mit den Vertriebenen…
Das war für Cidlina die richtige Verbindungsperson. 2018: Erste Ausstellung: „100 Jahre.“ Cidlina begegnete bei seinem ersten Sudetendeutschen Tag in Regensburg den alten Vertriebenen und war tief von ihrem Schicksal betroffen. Aus dem Historiker Cidlina wurde ein Aktivist. Es meldeten sich immer mehr und mehr Vertriebene und Cidlina hatte auf einmal die Quellen, die er jahrelang suchte. Im Verlag „Voda na mlýn“ erschien 2022 ein neues Buch Cidlinas, mit dem Titel „Leipsche.“ Es enthält Erinnerungen der Deutschen, die nach 1945 aus Böhmisch Leipa vertrieben wurden. Das Buch ist in Deutsch und Tschechisch. In drei Monaten war die tsch. Version ausverkauft. In seiner Arbeit für die Verarbeitung der deutschen Geschichte in Böhmen gab es auch Probleme: 2020 gab es bei der Erinnerung an die Vertreibung vom 15. 6. 1945 eine Gegendemo von den Kommunisten aus ganz Nordböhmen. Für die Bürgermeisterin in Böhmisch Leipa ist das Thema auch immer noch ein Tabu. Die Schulen interessieren sich aber für die deutsche Vergangenheit: Die Lehrerinnen fragte nach deutschen Sitten und es entstand ein kleines Büchlein „Vergessene Volkssitten und Traditionen um Böhmisch Leipa.“ Das Büchlein wird beim Unterricht benutzt. Dank der Aktivitäten Cidlinas wurde z. B. auch die evangelische Kirche gerettet. Cidlina erwähnte auch Waldkraiburg: 2024 wurde das Archiv der Vertriebenen nach Böhmisch Leipa gebracht. Ein gutes Beispiel auch für andere Heimatkreise.
„Jaksch von Wartenhorst…“
Štěpán Karel Odstrčil aus dem Egerer Museum stellte eine vergessene Persönlichkeit vor: den Arzt Rudolf Jaksch von Wartenhorst. Sein Vater Anton Jaksch wurde am 14. April 1810 in Wartenberg am Rollberg (Stráž pod Ralskem) geboren. Beide leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Entfaltung der Medizin in den böhmischen Ländern, sowie der westböhmischen Kurorte. Nach einem Studium der Medizin in Prag und Wien promovierte Jaksch 1835 zum Dr. med. In den folgenden Jahren arbeitete er 1835 bis 38 als Assistent der 2. Medizinischen Klinik in Prag. Nebenbei fertigte er seine Habilitation, die er 1842 abschloss. Von 1842 bis 1846 war er Vorstand und Dozent an der neu errichteten Brustkranken-Abteilung, worauf er einen Lehrstuhl an der Universität Prag erhielt. Dort war er 1849 Rektor der Universität. Für seine Tätigkeit wurde Jaksch mit der Berufung zum Hofrat und durch Verleihung der Würde eines Ritters des österreichischen Ordens der Eisernen Krone II. Klasse ausgezeichnet. 1841 heiratete Jaksch in Prag Karolina Anna von Helly (1822–1859). Im Jahre 1861 kaufte Jaksch das Gut Lazsko (Lasko). 1872 erwarb er das Schloss Lohowa (Luhov) in Westböhmen. Anton Jakschs hatte acht Kinder und vermittelte ihnen eine gute Bildung. Nur der Rudolf von Jaksch trat in die Fußstapfen seines Vaters: er studierte Medizin an der Karls-Universität Prag und der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg. 1878 wurde er in Prag zum Dr. med. promoviert.
Rektor der Universität…
Anschließend war er kurzzeitig Assistent bei Edwin Klebs, Alfred Pribram und von 1879 bis 1881 bei seinem Vater. 1882 wurde er Assistent von Hermann Nothnagel an der Universität Wien, an der er sich ein Jahr später für Pathologie habilitierte. Seit 1884 Privatdozent, folgte er 1887 dem Ruf der Universität Graz auf ein Extraordinariat für Kinderheilkunde. Damit war er Vorstand der Universitätskinderklinik. Ab 1889 wirkte Jaksch an der Karl-Ferdinands-Universität in Prag als Ordinarius für Innere Medizin und Vorstand der Kinderklinik. Auf seine Veranlassung wurde eine moderne Klinik geplant, die 1899 eingeweiht wurde. In den Jahren 1894/95 und 1910/11 fungierte er als Dekan der Medizinischen Fakultät und 1908/09 als Rektor der Universität. 1890 wurde er in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt. Jaksch ist Autor und Mitautor mehrerer medizinischer Standardwerke. Sein 1887 erstmals veröffentlichtes Buch „Klinische Diagnostik innerer Krankheiten mittels bakteriologischer, chemischer und mikroskopischer Untersuchungsmethoden“ wurde in der 6. Auflage von 1907 in sechs Sprachen übersetzt. Die Anaemia pseudoleucaemica infantum (1889) trägt seinen Namen. Im Jahr 1941 erhielt er die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft. Jaksch heiratete 1882 in Wien Adele von Haerdtl (1867–1944), mit der er einen Sohn und drei Töchter hatte. Nach 1918 widmete sich Rudolf weiterhin der Lehrtätigkeit und dem Thema Volksgesundheit. Sein lebenslanges Thema war die Behandlung und Prävention von Tuberkulose, über das er bis in die 1940er Jahre Vorträge hielte. Jaksch war auch an dem Aufschwung von Franzensbad beteiligt, wie in der Chronik der Stadt, sowie in der damaligen Presse nachzulesen ist. Wie alle Deutschen verlor Rudolf Jaksch nach 1945 sein Eigentum und es wurden ihm die Bürgerrechte entzogen. Er wurde auch wegen seines hohen Alters nicht vertrieben und starb am 8. Januar 1947 in Rakolus (Hracholusky).
Das böhmische königliche Feld im Sudetengebiet….
Für den dritten Vortrag konnte der Seminarleiter Richard Šulko einen ganz besonderen Referenten gewinnen: den Senator des tschechischen Parlaments, Martin Krsek aus Aussig a. d. Elbe. Das Thema war auch spannend: "Přemysl der Pflüger" und sein Denkmal in Staditz (Stadice), Ortsteil von Groß Tschochau (Řehlovice). Přemysl der Pflüger (tschechisch: Přemysl Oráč) ist der mythische Stammvater des böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden. Der mythische Stoff ist in zwei mittelalterlichen Quellen belegt: Der Christianslegende vom Ende des 10. Jahrhunderts und der Chronica Boemorum des Cosmas vom Anfang des 12. Jahrhunderts. Bekannt ist die Erzählung von Přemysl auch in der Fassung der „Alten böhmischen Sagen“ von Alois Jirásek. Dieses 1894 entstandene Werk verarbeitete die Stoffe der Cosmas-Chronik und ihrer jahrhundertelangen Weiterentwicklung zu literarischen Sagen. Das Denkmal selbst wurde im Jahre 1841 von Josef Max geschaffen. Auf dem Denkmal sind Reliefs, die eine Ankunft von der Abordnung der Fürstin Libuscha und eine Ankunft an der Prager Burg darstellen. Man findet hier noch einen eisernen Pflug, mit dem Přemysl der Pflüger ackerte. Das Denkmal ließ Graf Albert Nostitz bauen. Bei der Einweihung des Denkmals kam auch der Preußische König mit Militär. Dieses Denkmal sollte die Würdigung der Landwirtschaft und dem Leben auf dem Land darstellen. Die Zweisprachigkeit stellten Zweige aus Eiche und Haselnuss bei der Einweihung dar. Nach der Gründung der Tschechoslowakei wurde dieses Denkmal zum Symbol der Nationalen Reibungen zwischen den Deutschen, die eigentlich 100% der Bevölkerung in Staditz bildeten, und den nach 1918 neu hinzugekommenen tschechischen Bewohnern. 1928 gab es noch zweisprachige Feste am Denkmal, bei denen sowohl tschechische, als auch deutsche Abgeordnete waren, aber mit der Zeit spitzte sich die Lage immer mehr zu. Von der tschechischen Seite habe es nach 1918 immer Versuche gegeben, das Denkmal für die tschechischen Interessen zu gewinnen, initiiert vom tschechischen Lehrer Václav Lacina. In den 30er Jahren wurde dieses heilige Feld mit dem Denkmal als „Harte germanische Bastion“ von den Tschechen bezeichnet.
In Karlsbad und Kaiserbad…..
Nach dem Mittagessen folgte eine Busreise nach Karlsbad. Eine spezielle Führung durch Herrn Radek Goubej führte die Gruppe nicht nur in den Konzertsaal und den Zandersaal, sondern auch in das Kaiserbad selber. Nach der einstündigen Führung folgte ein zweistündiger Spaziergang bis zu der Mühlbrunnenkolonnade, wo man nicht nur den Sprudel besichtigen und die einzelnen Quellen ausprobieren konnte, sondern auch im Grandhotel Pupp guten Kaffee mit Kuchen essen konnte. Auch wurden einige Statuen erklärt, wie die Dreifaltigkeitsstatue von Oswald Wenda am Schlossberg. Ein Teil der Gruppe bevorzugte lieber einen Becherbitter in einem Gartenrestaurant, beim schönen herbstlichen Wetter. Nach dem Abendessen, wieder zurück im Stiftsrestaurant, kam aus Netschetin Herr Theodor Bayer mit seiner Ziehharmonika zu uns und erfreute auch andere Restaurantbesucher mit dem Spiel und Gesang der böhmischen Volkslieder. Sonntagfrüh folgte nach dem Frühstück die Evaluierung des Bildungsseminars und nach dem Besuch der hl. Messe in der Klosterkirche und dem Mittagessen wurde das Seminar als beendet erklärt.